Glück im Unglück

Es gibt Dinge, die die Welt nicht braucht. Weit oben auf meiner Liste: Autounfälle. Und trotzdem ist es passiert. Am Dienstagmorgen um kurz nach 6 Uhr bin ich auf der glatten Fahrbahn ins Schleudern geraten und habe mein Auto – das ich liebevoll “Nussschale” nenne – in den Graben gesetzt.
Der absolute Horror im Dunkeln auf einer Straße durch den Wald. Keine Menschenseele weiter und breit (was wiederum auch eine gute Seite hatte, denn es war niemand sonst in den Unfall verwickelt). Gerade so aus dem Funkloch gekommen und zwischen zwei Strommasten von der Straße abgekommen. Ich glaube, ich hatte einige Schutzengel an meiner Seite.

Winterwald 

Mir selbst ist nicht wirklich was passiert, aber gefühlsmäßig bin ich aus dem Schleudern noch nicht wieder rausgekommen. Jetzt hatte ich doch gerade das Gefühl, dass nach dem Umzug wieder etwas Ruhe eingekehrt war. Sogar mein Rücken hatte sich am Wochenende das erste Mal seit Monaten total frei und gelöst angefühlt! Schon fühle ich mich wieder aus der Bahn geworfen. Auch wenn ich dem Universum keine bösen Absichten unterstelle, so habe ich in den letzten Tagen oft gedacht, dass das doch nur ein schlechter Scherz sein kann. Darf ich nicht endlich mal zur Ruhe kommen? Kann’s nicht einfach mal wieder wie am Schnürchen laufen?

Ganz viel in mir sagt Nein: Ich will mich nicht ärgern, ich will mich nicht um ein neues Auto kümmern, ich will mich nicht mir der Versicherung rumschlagen und so weiter. Der Schock darüber, was passiert ist und was noch alles schlimmeres hätte passieren können, sitzt ziemlich tief. Das fühlt sich mies an, es lähmt mich und ich ärger mich noch mehr, weil es mir schwer fällt, die ganzen positiven Dinge richtig wahrzunehmen, die mit dem Unfall einhergingen: Nette Polizisten und ein netter Abschleppdienst, ganz viel Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit von Familie & Freunden, die Erleichterung, dass mir selbst nicht mehr passiert ist, das Glück, die Vollkaskoversicherung noch zu haben (die wir zu diesem Jahr eigentlich kündigen wollten, da mein Auto schon acht Jahre als ist) – das alles bekommt erst nach und nach Raum in meiner Gefühlswelt. Das soll nicht heißen, dass ich mir meines Glücks im Unglücks nicht bewusst wäre. Es ist jedoch, als ob es auf dem Weg stecken geblieben wäre und nur stockend weiterkommt. Vielleicht, weil ich zu den negativen Gefühlen Nein sage, weil ich gerne steuern würde, was ich zuerst fühlen möchte (natürlich die positiven Dinge), und nur schwer annehmen kann, dass es bei mir gerade scheinbar anders herum läuft. Diesen Kontrollverlust so bewusst zu spüren wie in dem Moment, als ich die Kontrolle über mein Auto verloren hatte und hilflos warten musste, bis ich endlich irgendwie zum Stillstand kommen würde, war einfach nur fürchterlich!

Ich sehe aber auch die Fortschritte, die ich in den letzten zwei Jahre gemacht habe. Ich kann mit Stolz anerkennen, dass ich direkt nach dem Unfall eben nicht total hilflos war, denn ich habe alles Notwendige in die Wege geleitet und Polizei, ADAC, die Arbeit, meinen Mann etc. informiert. Da habe ich mich ganz wacker geschlagen. Außerdem habe ich die Schmerzen in Rücken und Schulter nach dem Unfall nicht runtergespielt und bin zum Arzt gegangen. Die Versuchung war dennoch groß, in den “Ist doch alles nicht so schlimm”-Modus zu wechseln – ein altes, tief verankertes Muster. Doch durch die Therapie habe ich recht schnell erkannt, wie viele Gefühle durch das Erlebnis in mir umherschwirren und wie schwer es mir immer noch fällt, alles einfach zuzulassen – egal wie widersprüchlich es für mich sein mag. Denn das ist meine eigentliche Herausforderung: Mich inmitten des Gefühlsgestöbers nicht zu verlieren, mich nicht hinwegfegen zu lassen, mich aber auch nicht davor zu verstecken, sondern es aufmerksam wahrzunehmen.

Und jetzt, wo ich mir das alles von der Seele schreiben konnte, fühle ich mich wieder etwas leichter und nicht mehr ganz so schockgefroren. Ich freue mich, ich ärger mich, ich fühle mich erleichtert, ich bin traurig – c’est la vie!

Welche aufregenden Erlebnisse hattet ihr in letzter Zeit? Wie sieht’s mit eurer Ruhe im Gefühlsgestöber aus?

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9 Comments

  • Erst mal: Gut, dass dir nichts passiert ist! Toi, toi, toi und gute Besserung für alles, was noch kommt!

    Mich hat die mehr oder weniger überraschende Trennung von meinem Freund kurz vor Jahresende ganz schön aus dem Tritt gebracht. Wir sind im September erst zusammen gezogen und da hat sich mein Leben jetzt wohl so ziemlich um 180° gedreht. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, wo ich gefühlsmäßig momentan stehe und wie ich meine Zukunft jetzt angehen will. Zumindest habe ich mich jedoch dafür entschieden, mein Studium jetzt durchzuziehen und keinen kompletten Neuanfang zu starten, was ja auch schon mal ein großer Schritt ist (vor einigen Monaten war ich mir noch gar nicht so sicher, ob mir dieser Studiengang so viel bedeutet)

  • Liebe Julia
    Erst einmal bin ich total froh, dass Dir nichts passiert ist – mit diesem Beitrag hast Du mich ganz schön erschreckt. Und ich finde es bewundernswert, wie Du schon jetzt wieder die positiven Seiten siehst! Ich wünsche Dir auf jeden Fall ganz gute Erholung – sowohl körperlich als auch seelisch!
    Liebe Grüsse
    Ariana

  • Liebe Ariana,
    danke, dass du mich darauf aufmerksam machst, dass ich doch schon recht schnell wieder positive Seiten sehen konnte! Ich selber hatte nämlich das Gefühl, dass ich ewig in den negativen Gefühlen drinhänge und es noch viel schneller gehen müsste. 😉
    Ohne Therapie hätte es auf jeden Fall viel, viel länger gedauert. Das ist wie ein Katalysator!

    Und nach einem wirklich schönen Wochenende habe ich mich sogar noch ein bisschen mehr erholt. 🙂

    Liebe Grüße
    Julia

  • Hallo Juliane,
    vielen Dank! Das Wochenende war wirklich sehr schön und entspannend.

    Ich wünsche dir einen guten Start in die Woche!
    Julia

  • Liebe Doro,

    vielen Dank für deine Offenheit! Du hast mich damit sehr berührt.
    Das ist wirklich ein großer Einschnitt für dich – v.a. wenn ihr vor nicht allzu langer Zeit entschieden hattet, den nächsten Schritt in eurer Beziehung zu gehen. Und jetzt stehst du doch auf einmal vor einer völlig neuen Situation, die du selber wahrscheinlich so nicht erwartet hättest. Da wäre ich auch völlig aus der Ruhe gebracht!
    Auch wenn ich es selber ganz furchtbar finde, wenn mich etwas gefühlsmäßig so aus der Bahn wirft, konnte ich in den letzten Jahren selber erfahren, wie viel Lebendigkeit und Energie darin liegen kann, wenn man trotz des scheinbaren Chaos sich selber und seine innere Ruhe spürt. In solchen Momenten innezuhalten war für mich früher fast unmöglich: Ich habe eigentlich immer versucht, so schnell wie möglich neue Tatsachen zu schaffen – je drastischer, desto besser. Dabei ist das gar nicht notwendig! Nimm dir Zeit, für dich herauszufinden, wo du für dich stehst und was sich für deinen Zukunft jetzt gut anfühlen würde.

    Ich wünsche dir viel Kraft, all die Gefühle zu spüren, die jetzt gerade in dir umherschwirren – die schlechten, aber auch die guten!

    Alles Liebe
    Julia

  • Hallo Julia,

    Ich verfolge deinen Blog schon eine Weile. Ich bin beruhigt zu hören, dass es dir soweit gut geht. Ich hatte auch schon einen kleinen Auffahrunfall mit Fremdbeteiligung und das ist echt nix angenehmes : /
    Auch generell kann ich dich sehr gut verstehen, ich hab manchmal auch so Phasen wo einfach nur der ganze Schei* auf einmal kommt und ich denke da oben im Himmel will mich wohl jemands dran kriegen. Aber so blöd es klingt, es kommen auch wieder bessere Zeiten und an die muss du jetzt denken. Alles Gute für die nächste Zeit!

  • Hallo Julia,
    ein Glück, dass dir nichts passiert ist! Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir kurz von meinem Autounfall erzähle. Vor 5 Jahren ist ein anderes Auto auf meine Fahrbahn gekommen und hat mich frontal erwischt. Bei 70 km/h. Doch ich hatte – wie du – wahnsinniges Glück und bin nur mit einer Rippenprellung davongekommen. Zufällig waren die Autos beinahe baugleich, sonst wäre eins der beiden zerquetscht worden. Zufällig fuhr hinter uns eine Krankenschwester, die sofort Krankenwagen und Polizei benachrichtigte. Und zufällig habe ich von der Versicherung um einiges mehr Geld herausbekommen, als mein neues und höherwertiges Auto gekostet hat. Von dem übrigen Geld habe ich mir dann einen schönen Urlaub gegönnt, den ich mir sonst nicht hätte leisten können. Und jetzt weiß ich, dass ich auch mit solchen Extremsituationen umgehen kann. Du beginnst ja auch bereits, die positiven Aspekte zu sehen. Vielleicht fallen dir mit ein wenig Abstand noch mehr davon auf. Denn ich bin mir sicher, dass nichts ohne Grund geschieht.
    Ich wünsche dir in den nächsten Tagen und Wochen all die Ruhe, die du für dich brauchst!
    Alles Liebe
    Anna

  • Liebe Anna,

    vielen Dank für deinen schönen Kommentar!
    Bei mir dringt auch immer mehr durch, wie viel Glück ich hatte und dass ich – so wie du es auch erlebt hast – echt gut mit der Situation umgegangen bin. Dank einer kleinen Finanzspritze konnte ich mir jetzt sogar in ganz neues Auto kaufen, was sonst nie zur Debatte gestanden wäre.
    Am schönsten finde ich aber, dass ich besser als früher zulassen konnte, dass ich emotional viele Stufen durchlaufen bin und mir dafür Zeit und Raum gegeben habe. <3

    Viele Grüße
    Julia

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